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35. Capitel.    Von der Nothwendigkeit der Bezifferung Chapter 35.    On the necessity of figuring
§. 2.    Es haben sich einige wegen der Abfertigung unbezifferter Bäße viele Mühe gegeben, und ich kann nicht läugnen, daß ich zuweilen selbst Versuche von dieser Art angestellt habe: allein, jemehr ich hierüber nachdachte, desto reicher fand ich die Harmonie an Wendungen, welche durch die Feinheiten des Geschmacks noch alle Tage dergestalt vermehret werden, daß man unmöglich den freyen Gedanken eines Componisten, welchem die gütige Natur das Unerschöpfliche seines Metiers einsehen läßt, durch fest gesetzte Regeln gleichsam Schranken setzen, und seine willkührlichen Wendungen errathen kann. §2.    Many have gone to great lengths to outline how to realize unfigured basses, and I cannot deny that I myself have occasionally made similar attempts. Yet the more I thought about it, the richer I found the plethora of harmonic resources that are daily expanded via the subtleties of good taste, such that it is impossible to surmise through fixed rules the unrestrained thoughts and arbitrary fancies of a composer whom benevolent nature grants insight into the inexhaustible scope of his metier.
Und gesetzt, es ließe sich etwas hierin bestimmen: soll man etwa mit dem Auswendiglernen dieser Regeln, deren Anzahl nicht geringe seyn kann, und die dennoch nicht allezeit Stich halten, das Gedächtniß martern? Soll man nachher auf das neue, wenn man nun endlich die gegebenen Regeln gelernet hat, viele Zeit und Mühe verschwenden, um die Ausnahmen wider diese Regeln zu behalten? Und dessen allen ohngeacht würde der Nutzen sehr geringe seyn, weil der geschickteste Musiker fehlen kann, wo nur zwo Möglichkeiten da seyn, geschweige bey mehrern. For even if something could be determined in this regard, should one torture the mind by learning by memory these rules, whose number is not small and which do not apply in all cases? Should one, after having finally learned the given rules, yet again waste much time and energy internalizing the exceptions to these rules? Even providing one did all that, the use would be very limited, since even the most skillful musician can err where there are only two possibilities, to say nothing of when there are many.




Translation © 2024 The Packard Humanities Institute

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